Es ist recht geläufig, dass die Freiheit der Kunst besonders gern hochgehalten wird, solange es darum geht, die eigene Gesellschaft als besonders emanzipiert, demokratisch und divers darzustellen. Derartige Kunstwerke und Kulturproduktionen werden auch meist von der öffentlichen Hand gefördert. Was in der Innenwirkung – als Würdigung und zur Verbreitung zum Beispiel sozial engagierter Werke – sicherlich gutzuheißen ist, wird schwierig, wenn entweder kulturell spezifische Ansätze in andere Regionen der Welt exportiert werden, oder wenn ehemals unterstützte Künstler aus anderen Regionen der Erde sozusagen importiert werden und plötzlich, wie Ai Weiwei, nicht mehr China, sondern Deutschland kritisch ins Visier nehmen. Undankbarer Egoist!

Grenzen überschreiten als Aufgabe und Krux von Kunst und Kultur

Welche Plattformen, Inhalte, Personen und Institutionen in welchem Land welche Freiheiten genießen, das ist schon ein Jahrhundert-Thema: Wie sehr kommen Internet-Giganten dem Urheberrecht in der EU und dem Staatswesen in China entgegen? Welche NGOs, auch und gerade „kulturelle“, mischen sich womöglich zu stark in die Politik anderer Länder ein, ob türkische in deutsche, deutsche in russische oder amerikanische in afrikanische und asiatische? Und noch breiter gefasst: Ist die technokratische Kultur der Algorithmen ein sine qua non der Kulturförderung, bis schließlich Kultur in der EU-Kommission gar nicht mehr als Aufgabenbereich auftaucht, sondern plötzlich „Innovation“ – meinend: Digitalisierung – heißt? Und was macht das aus nicht-digitaler Kultur? Die Folklore von „Wilden“? Europa wie die USA haben das Luxusproblem, Kritik von „außen“ an den hiesigen Verhältnissen aus anderen kulturelle Sphären meist gar nicht zulassen zu „dürfen“ – weil die anderen ja per definitionem weniger demokratisch, emanzipiert und fortschrittlich sind.

Freiheit der Kunst vs. sozial engagierte Kunst

Wer definiert, was „gesellschaftsdienlich“ ist, definiert auch den Wirkungsgrad von Künsten und Kulturen. Ökologisch mahnende, Integration und Inklusion (behauptenderweise) fördernde Projekte werden eher unterstützt als ketzerische, staatliche Institutionen vorführende und mittlerweile auch radikal individualistische Ansätze. Zumindest auf eigenem Territorium. Europa erlebt also derzeit ein merkwürdig politisch gewolltes Kunst- und Kulturverständnis. Und importiert gleichzeitig fast ängstlich viel zu wenig es kritisch hinterfragende Multikultur.